„Sieg über die Sonne“ Theater/Performance/Happening

„Sieg über die Sonne“ – Die letzte futuristische Oper in Osnabrück – Nachruf auf ein Happening
von Christine Hoffmann

Foto: Fredy Engel

Am 24.03.2010 präsentierte muäh! das erste Theater/Performance/Happening- Projekt, die klassische futuristische Oper „Sieg über die Sonne“ von Alexej Krutschonych (Libretto) und Welimir Chlebnikow (Prolog) im Substanz/ Osnabrück – ein denkwürdiges Ereignis.

Ein wahres Erlebnis wurde dieses Happening durch seine unprätentiöse aber präzise Inszenierung, in der sich elektronische Musik, rhythmisch geschnittene Projektionen sowie farblich ausdrucksstarke Kostüme und Requisiten gegenseitig durchdrangen.

Die ursprüngliche Inszenierung wurde 1913 nur zwei Mal aufgeführt und führte zu einem der größten Skandale der Theatergeschichte. muäh! gelang es, das neu fragmentierte Stück durch den Einsatz von Synthesizern und Beamern sowie durch die individuelle Interpretation der Darsteller spielerisch zu aktualisieren. Alle auftretenden Charaktere – vom „Feigling“ über „Nero“ bis zum „Mann mit schlechten Absichten“ wurden präzise und intensiv dargestellt – und blieben trotz aller Theatralik des Textes eigentümlich authentisch.

Die „futuristischen Kraftmenschen“ verdrängten das Publikum immer wieder von seinem gerade gefundenen Standpunkt – so dass der Zuschauer eine aktive Rolle im Stück erhielt. Verunsicherung wurde spürbar.

Die „futuristischen Menschen“ von bloop verdichteten mit ihren live eingespielten oder einprogrammierten Loops und Rhythmen die Atmosphäre rund um die Gefangennahme der Sonne. Die elektronische Musik verwob sich rhythmisch mit den Projektionen. „Zerschlagen ist die Sonne. Es lebe die Dunkelheit, die schwarzen Götter, ihr Liebling – das Schwein.“ Der Spielraum für mögliche Interpretationen blieb zu jedem Zeitpunkt offen – Verfremdungen und ironische Brechungen im Vortrag führten immer wieder zu Irritation, Verwunderung, Lachen und Beklemmung. Das Unbehagen, die Alogik des Stücks, steigerte sich im Chor der futuristischen Kraftmenschen am Schluss: „Anfang gut, alles gut, wir sind ohne Ende. Geht auch die ganze Welt zugrund, wir sind ohne Ende.“

Neue Bedeutungsebenen in bezug auf den Umgang des Menschen mit Natur und Technik ergaben sich wie von selbst; das Untergangsszenario der Oper – 1913 positiv besetzt? – gewinnt in der heutigen Zeit an Brisanz. Der Kampf gegen das Althergebrachte endet nie.

Wer oder was ist muäh! ?* Die Darsteller legten keinen Wert darauf, durch diese Performance in die Annalen einzugehen oder finanziellen Mehrwert zu erzielen. Gerade dieses Konzept erhöhte den geistigen Mehrwert des Moments. Ein Lichtblick für Osnabrück – auch wenn das Angesicht dunkel ist.

* Wer dies dennoch wissen möchte, informiere sich in der werk.statt

Christine Hoffmann
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  1. 1 Sieg über die Sonne | www.osnabrueck-kultur.de

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